Der in den USA aufgewachsene Exil-Vietnamese Tony Bui zeichnet zusammen mit
seiner 1999 in Sundance ebenfalls ausgezeichneten New Yorker Kamerafrau Lisa
Rinzler ein überaus positives und hoffnungsvolles Bild von Vietnam und seinen
Bewohnern - jenseits der Horrorvisionen des Vietnamkriegs, die bis dato im US-Kino
zu sehen waren. Der Film erzählt von drei verschiedenen Schicksalen, allesamt
Randexistenzen, die unter neuen Bedingungen nicht nur ums nackte Überleben,
sondern auch um ein bisschen Glück kämpfen.
"Wer ist eigentlich dieser Amerikaner?" fragt Hai, der Fahrer einer
Fahrrad-Rikscha, Cyclo genannt, der es gelassen hinnimmt, nicht im 5-Sterne-Hotel
der Stadt, sondern in seinem eigenen "10000 Sternehotel" unter freiem Himmel zu
schlafen. Vor dem Veteranenlokal "Apocalypse Now" sitzt der ehemalige US-Soldat
James Hager, in sich versunken und Zigaretten qualmend. Was er sucht, ist die
einzige Frucht seiner Zeit in Vietnam: seine halbvietnamesische Tochter, die er
bislang nur von einem Foto kennt.
In selbstbezogener Gedankenlosigkeit macht er den kleinen Waisenjungen Woody
betrunken, dem daraufhin sein Bauchladen voller Ramsch abhanden kommt, mit dem er
seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Der geradlinige Hai hingegen hat sich in
eine coole Edelprostituierte verliebt, als sie in seinem Cyclo vor groben Freiern
flieht. Doch die westlich gestylte Lan lehnt seine Liebe kühl ab, da sie statt
eines Habenichts wie Hai einen Mann mit Kreditkarte sucht. Dann ist da noch die
junge Arbeiterin Kien An, die für einen strengen Herren, der sich nie zeigt,
Lotusblumen pflückt. Als er von ihrem unschuldigen Gesang berührt wird, zeigt er
ihr seinen von der Lepra zerfressenen Körper und die daran zerbrochene
Künstlerseele.
Drei Jahreszeiten - drei Saigoner Geschichten über Randexistenzen zwischen
Sehnsucht, Liebe und Überlebenskampf. Das Gesellschaftspanorama über die von
der Moderne erschütterte Millionenmetropole Saigon erhielt 1999 beim Sundance
Festival sowohl den großen Preis der Jury als auch den Publikumspreis.
Neben der pessimistischen französischen Produktion "Cyclo" (1995) von Tran Anh
Hung ist "Saigon Stories" die erste US-amerikanische Produktion, die in Saigon
gedreht werden durfte.
In poetisch miteinander verknüpften Episoden erzählt Regisseur (Jahrgang 1973)
die Geschichten dieser Figuren, die zwischen Bildern der Vergangenheit und
Versprechungen der Zukunft ihren Weg in der Millionenmetropole Saigon suchen.
Alle führt er an ihre eigenen bescheidenen Ziele: Woody findet seinen Bauchladen
wieder und obendrein eine kleine Gefährtin, der Ex-GI begegnet seiner Tochter,
die ihren Lebensunterhalt als Hostess bestreitet, die zarte Kien An entzündet
ein letztes Mal die Phantasie des leprakranken Schriftstellers und schreibt
seine Gedichte nieder, bevor er zufrieden stirbt, Hai gewinnt ein Cyclo-Rennen
und schafft es, Lans verwestlichte Maskerade zu überwinden und ihr ein Stück
näher zu kommen. Keine großen "Happy Ends", aber kleine Erfolge, die sich in
einem Meer von schwimmenden weißen Lotusblüten auflösen, den Resten einer
vergangenen Welt.
"Mich muss eine Rolle im Innersten berühren. Ich darf nie das Gefühl haben, in
Routine zu erstarren, sondern muss immer die Neugier auf etwas Neues spüren".
Die Schauspiellegende Harvey Keitel ist mit Martin Scorseses frühen Werken
("Taxi Driver", 1976) groß geworden und erreichte mit Filmen wie "Reservoir
Dogs" und "Pulp Fiction" (Quentin Tarantino, 1992 und 1994) oder Jane Campions
"Das Piano" (1993) den Höhepunkt seiner Karriere. Um dem damals 26-jährigen
Tony Bui, Absolvent der Filmakademie in Los Angeles, eine Chance zu geben,
ist er als Ko-Produzent aufgetreten und hat seine sowieso ungewöhnlich niedrige
Schauspielgage einem vietnamesischen Waisenhaus gespendet: "Ich möchte jungen
Autoren und Regisseuren helfen, sie haben so großartige Geschichten auf Lager.
In Hollywood fehlt es an Risikobereitschaft." [ZDF]
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